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Dieter Kramer: Neue Runde, neues Spiel

Ein Aufschlag zur Kulturpolitik (1)

1. Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik

Einst hat Alexander Mitscherlich mit der Kritik an der Unwirtlichkeit der Städte die neue Kulturpolitik befeuert und Brennstoff geliefert für den Aufruf des Deutschen Städtetages "Rettet unsere Städte jetzt!" Seit dieser Zeit ist das Stichwort "Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik" für die Kulturpolitik wichtig. Es wird auch in der Umkehrung verwendet, wenn es um die negativen Auswirkungen einer spaltenden Sozialpolitik geht.

Jeder Wandel ist eine Chance. Apokalyptische Bilder oder nostalgische Erinnerungen bringen nicht viel. Aktuell geht es um die Arbeit der Zukunft, um die Auseinandersetzung mit den Fragen von heute und morgen. Es gibt provozierende Herausforderungen. Die aktuellen Veränderungen von Arbeits- und Lebenswelt in der Digitalisierung werden an vielen Orten (so auch in der Kulturpolitischen Gesellschaft) intensiv thematisiert; ich will Einiges Anderes vertiefen und Neues hinzufügen.

2. Die Kluft

Besonders herausgefordert fühle ich mich derzeit durch die Kluft zwischen den Milieus: Es ist zunächst die größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich. Zu ihr gehört es, dass hierzulande viel zu viele Kinder und Jugendliche in (relativer) Armut aufwachsen – und das in einer der reichsten Gesellschaften! Sie werden nicht nur ungenügend für das Leben vorbereitet, sondern sie werden sich auch kaum noch verantwortlich fühlen für eine Gesellschaft, die ihnen so wenig geboten hat. Es ist aber nicht nur die Kluft zwischen Arm und Reich, sondern auch die zwischen der "neuen Mittelklasse" (Reckwitz), der "Latte Macchiato-Fraktion" (früher war es die freilich viel kleinere Toskana-Fraktion oder die der Trockenen Weißweine) und denen, die sich da nicht wiederfinden können.

Dem kann man nicht einfach mit mehr kultureller Bildung abhelfen. Da ist selbst das "lebendige sozialkulturelle Milieu", an dem "Kultur für alle" strickte, nicht ausreichend. Angesagt ist eine gesellschaftspolitische Offensive, mit der die soziale Demokratie (verpflichtet dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes) möglichst viele (alle) materiell mit verschiedensten Formen der Absicherung einbezieht und die gestützt ist auf eine sozialkulturelle Infrastrukturpolitik.

"Wir sind viele" – aber was verbindet uns, was hält uns zusammen, wenn nicht der Sozialstaatskonsens des Grundgesetzes?

3. Diskurskultur

Die Gesellschaft "auf der kommunikativen Ebene zusammenbringen" war ein Ziel von Hermann Glaser, und ich habe ihn damals kritisiert, weil damit Klassengegensätze verkleistert werden sollten. Aber heute driftet die Gesellschaft ganz anders auseinander als in den sozialen Kämpfen der 1960er, 1970er Jahre. Angesagt ist derzeit eine Kultur des Streites bei wechselseitiger Anerkennung der Unterschiede, aber basierend auf der Einsicht, dass alle im gleichen geographischen und historischen Raum leben und miteinander auskommen müssen: Selbst Klassengegensätze können, wenn es keinen Bürgerkrieg geben soll, nur auf diese Weise ausgehandelt werden, kulturelle und ethnische ohnehin nur so. Inzwischen wissen wir, was Echokammern sind, in denen immer nur die eigenen Vorurteile zu hören sind. Es gibt keine wichtigere Aufgabe, als blickdichte Parallelwelten, Echokammern und Ähnliches zu aufzubrechen.

In der europäischen Renaissance wurde der gesellschaftliche Reichtum genutzt, eine "Diskursrevolution" voranzutreiben, erst die der Kleriker, dann die der Laien (Roeck, Bernd: Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance. München: C.H.Beck 3. Aufl.2018, S. 278). In Urbino entwickelt Castiglione (1478-1529) im "Cortegiano" (Der Hofmann) vorbildlich die Dialogkultur der Renaissance mit ihrer sprezzatura (Maße) (S. 662) Das zeitgenössische Gegenbild  ist der Sacco di Roma (1527), der Einbruch der Barbarei in Gestalt der Besetzung von Rom durch eine von allen Hemmungen befreiten Schar von Söldnern (S. 754). Es ist ein Zivilisationsbruch, der  später nur noch übertroffen wird durch die Plünderung von Magdeburg im 30jährigen Krieg. Der "Grobianus" steht gegen die im "Cortegiano" entwickelte Kunst der Konversation (S. 664), des Modells eines aufgeklärten Diskurses von Gleich zu Gleich (der kranke Herzog wird zu Bett geschickt, bevor die Konversation im höfischen Kreis beginnt; S. 666). Bei dieser Form des  Gesprächs ist Sokrates symbolisch immer präsent (S. 52/53). Die "rhetorische Revolution" entwickelt nach dem Vorbild von Cicero die Technik des Argumentierens und Erörterns nach beiden Seiten hin (S. 502).

Heute ist angesagt, Streitkultur herauszufordern. Da dürfen Vokabeln wie "Umvolkung", "Volksverräter" nie unwidersprochen bleiben: "Faktencheck" und Rückfragen gehören dazu, wie die Fragen: "Was ist Volk?" oder "Wer entscheidet über Zugehörigkeit? Was geschieht mit denen, die nicht dazugehören? Wie verträgt sich das mit dem Grundgesetz?" Wenn von "Leitkultur" die Rede ist, dann ist offensiv zu fragen: "Wer entscheidet, was das ist?" "Lügenpresse": Wo wird konkret wie und wann gelogen? Was für Beweise gibt es dafür? Kann man von Einzelfällen ausgehend so einfach generalisieren? Was für alternative Informationsmöglichkeiten gibt es, und wieso sollen die mehr Vertrauen verdienen? Wie kommt es, dass Presse (manchmal) lügt?  Und so weiter. Solche Nachfragen sind weiterführender als moralische Verurteilung oder der Austausch gleichwertiger Vorurteile. Aber der Diskurs muss stattfinden.

4. Grundgesetz und Gemeinnutz

Im Grundgesetz wird eine ideelle Lebensgrundlage formuliert, getränkt von Werten des humanen Miteinander und des Mitfühlens. Das ist ein Gemeingut und als solches zu schützen. Entscheidendes Fundament auch für die Kulturpolitik ist das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes (und der Verfassungen).

Die Grundwerte im Grundgesetz umschreiben keine "Leitkultur", sondern eine immer wieder neu zu interpretierende "ideelle Lebensgrundlage". Kultur in Deutschland, nicht "Deutsche Kultur" nannte sich eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages.

Für den heutigen sozialen und demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes, hervorgegangen aus den Traditionen von Religionen, Humanismus, Klassik und – vor allem auch – den sozialen Bewegungen des 19. Jahrhunderts, ist die Förderung und Herstellung lebendiger kultureller Milieus für alle kein "meritorisches Gut", sondern eine Bringschuld im Rahmen der sozialen Demokratie. "Kultur ist weder eine Ware noch Luxus. Sie ist keiner einzelnen sozialen Gruppe vorbehalten und darf nicht nach Rentabilitätsgesichtspunkten beurteilt werden."

5. Kultur für alle

Kulturpolitik darf sich nicht abspeisen lassen mit Phrasen wie "Das Milieu ist das Schicksal" (Didier Eribon). Sie wird vielmehr darauf beharren: Das Milieu ist nicht geschichtslos, es wurde gestaltet und ist gestaltbar. Beim Programm Kultur für alle geht es nicht nur darum, die für wirtschaftliche Tätigkeiten als "objektive" Voraussetzung notwendigen kreativen und vielseitig qualifizierten Individuen (früher hätte man gesagt "Produzenten") heranzubilden. Solche werden für alle am Markt orientierten wirtschaftlichen Aktivitäten gebraucht. Erst Recht und ganz besonders aber sind sie unverzichtbar, wenn es um Nachhaltigkeit und "Postwachstumspolitik" oder soziale Gerechtigkeit geht.

Kultur und Künste sind ein Gemeingut: Lebendige kulturelle Milieus für die Entfaltung der Kreativität und der Lebensqualität der Individuen müssen hergestellt werden. Es geht auch um die Sicherung der Arbeit der aktuellen Künste. Von ihnen wird wie von der Wissenschaft Begriffs- und Symbolarbeit geleistet und die dabei hilf, Welt und Menschsein immer wieder zeitnah neu zu interpretieren. Das "nationale" (lokale, regionale) Kulturerbe ist  ebenso wie das Weltkulturerbe nicht nur als Teil von Lebensqualität wichtig, sondern es ist ebenso wie Kreativität und Elastizität in allen Milieus auch angesichts der "Unwägbarkeiten der Zukunft" eine "unverzichtbare Ressource".  

Wie lange noch soll man gebetsmühlenhaft etwas von der wirtschaftlichen Bedeutung von Kunst und Kultur sich erzählen lassen, was man doch längst weiß, und zuschauen, wie beide dem Zugriff der Sponsoren und des Marketings unterworfen werden? "Kunst als Wertschöpfung. Zum Verhältnis von Ökonomie und Ästhetik" ist der Titel einer Vortragsreihe im Rahmen der Deutschen Bank Stiftungsgastprofessur "Wissenschaft und Gesellschaft" im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt am Main im Dezember 2018 – jener durch riskante, ja betrügerische Finanzprodukte bekannt gewordenen Bank, die sich wie andere Banken salviert mit der Devise "Caveat emptor" – der Käufer trägt selbst die Schuld, wenn er sich hereinlegen lässt. Und jener Bank, die in Berlin die Sponsorengeschäfte von Sport und Kunst zusammenführen will. Kunst wird verheizt als soziale Stabilisationsstrategie des urbanen Raumes (Deutscher Kongress für Geographie Kiel Sept. 2019, dgv-informationen 4/2018), und als Motor der Umwegrentabilität und Profilierungsmittel für die Städte, weil sich öffentlich finanzierte Museen und Institutionen besonders gut als Präsentationsbühne für die hegemonialen Eliten eignen, auch für Veranstaltungen und Präsentationen für Privilegierte: Genießerische Festessen unter den Köpfen der "Sterbenden Krieger" von Andreas Schlüter im überdachten Innenhof des Historischen Museums im Zeughaus in Berlin. Das wird dann auch noch als PPP angepriesen, als "uneigennützige" Förderung einer Kunst, die sich am besten dafür eignet und am wenigsten gegen Instrumentalisierung verteidigen kann.

Soll man all das unkommentiert lassen? Es wird Zeit, dass wir einen Kodex des "Ethischen Sponsoring" entwickeln.

6. Gemeinwohl und Eigentum

Eigentum verpflichtet. Die angeblichen ständestaatlichen "Hindernisse" für die Entfaltung der bürgerlichen Gesellschaft wurden mit den Stein´schen Reformen in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgeschafft. Aber diese Reformen sind immer verbunden mit der Vorstellung, dass beim zeitgemäßen "Umbilden" des Alten die in Selbstverantwortung versetzten Akteure "gemeinnützige und nicht nur eigennützige Ziele" verfolgen. Zwar werden – wie in der Verfassung der USA und anderswo – zunächst nur die "Besitzenden" (Eigentümer) an den öffentlichen Angelegenheiten beteiligt, denn sie, vermutet Freiherr vom Stein, haben mit ihren Kenntnissen am ehesten Interesse am Gemeinwohl. Als Freiherr vom Stein diese Reformen empfahl, schwebte ihm freilich nicht die von allen Bindungen befreite Marktgesellschaft vor, sondern er sah sie dem Gemeinwohl verpflichtet, und seine eigene moralische Erziehung bestärkte ihn darin. Er ahnte nicht, wie sehr dieses Interesse der Besitzenden sich von der Verpflichtung auf das Gemeinwohl verabschieden und wie der entfesselte Eigennutz sich durchsetzten würde (Alexander von Humboldt, oft bei dem Freiherrn zu Gast, konnte ihn zur gleichen Zeit beim südamerikanischen Sklavenhandel beobachten).

Stein wirkte in jenen Provinzen, aus denen dann der "Rheinische Kapitalismus" und die Soziale Marktwirtschaft genährt wurden. Sie erscheinen heute für Manche Linke als Rettungsanker gegen den Fundamentalismus des freien Marktes, weil mit "Sozialismus" sie nicht mehr viel anfangen können. Aber die mit den Reformen des 18. und 19. Jahrhunderts zerstörten Gemeinnutzen könnten genau wie die Genossenschaften immer noch interessante Impulse für eine sozialökologische Transformation der Gesellschaft geben.

Heute geht man locker über den der moralischen Verfall der Eliten von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft hinweg, wenn von Spitzenvertretern der Wirtschaft und der Finanzinstitutionen kriminelle Betrügereien gemacht werden und die Politik kaum ernsthaft etwas dagegen unternimmt – im Gegenteil eine Industrie noch darin stützt, mit betrügerischen Praktiken sich zu drücken vor einer längst fälligen neuen Orientierung (in der Automobilindustrie wie in der Landwirtschaftspolitik). In der Energie- und Kohlepolitik vermeidet man Veränderungen, die, wenn sie längst eingeleitet worden wären, viel eher zu bewältigen wären. Wie gehen wir damit um, dass in der Außengrenzen-Politik Europas die Prinzipien der Humanität buchstäblich über Bord geworfen werden, um Einwanderung zu verhindern (während gleichzeitig in vielen Bereichen ausgebildete oder ausbildungsfähige Fachkräfte gesucht werden)?

Das mag kulturpolitisch zunächst wenig relevant sein. "Wie viele Wirtschaftsvertreter in aller Welt ziehen ein Bündnis mit postdemokratischen, autokratischen und halbfaschistischen Regimes jeder demokratischen Kontrolle vor?" (Seeßlen, Georg: Der entfesselte Kulturkampf. In: TAZ v. 12.12.2018). Geht das die Kulturpolitik nichts an, die um die Sponsorengelder der Kriminellen buhlt? Noch einmal: Es wird Zeit, dass wir einen Kodex des "Ethischen Sponsoring" entwickeln.

7. Neue soziomoralische Ressourcen

Herfried Münkler schlägt in einem Beitrag zur Enquete-Kommission "Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements" (Münkler, Herfried: Bürgergesellschaft und Sozialstaat. In: Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements .Deutscher Bundestag (Hg.). Bürgerschaftliches Engagement und Sozialstaat. Opladen: Leske + Budrich 2003 [Enquete-Kommission … Schriftenreihe Bd. 3], S. 15- 26) vor, die "Komplementarität zwischen Sozialstaat und Bürgergesellschaft nicht so sehr im Bereich der Steuerung von Wohlfahrtsarrangements, sondern vor allem in der Reproduktion soziomoralischer Ressourcen zu suchen." (S. 17) Das bedeutet in der Konsequenz eine Relativierung der "Verteilungsgerechtigkeit": Ohne die Reproduktion soziomoralischer Ressourcen, so seine These, würden auf Dauer auch die staatlich organisierten Formen kollektiver Risikoabsicherung und die Grundversorgung mit kollektiven Gütern erodieren und schließlich zerfallen. Mit anderen Worten: Verteilungsgerechtigkeit ist wichtig, aber ohne die Vorstellung von einer dem Gemeinwohl verpflichteten Gesellschaft, und ohne dass erkennbar wird, dass diese Verpflichtung von den Institutionen in Wirtschaft und Gesellschaft sowie einer Mehrheit der Bevölkerung anerkannt wird, reicht auch die versprochene Verteilungsgerechtigkeit nicht aus. Die Werte des Sozialstaates als ideeller Lebensgrundlage müssen in allen Ebenen präsent sein.

"Die Werte der Solidargemeinschaft sind integraler Teil des kulturellen Selbstverständnisses in Deutschland. Es ist nicht entscheidend, ob ein Armer eine Eintrittskarte fürs Theater bezahlen kann (in dem er, wie Besucherforschung bestätigt, sich oft genug auch nicht wohl fühlt), sondern darum, ob er sich einbezogen fühlt in den sozialkulturellen Zusammenhang. Geld für die Eltern hilft den Kindern nicht immer. Wichtiger ist es, die sozialkulturellen Strukturen zu verändern, konkret: anregungsreiche und Partizipation erleichternde kulturelle Milieus für die Kinder, aber auch für die Eltern zu entwickeln." Es geht "um die Wahrnehmung der wachsenden und sich verstetigenden Armut als gesellschaftlicher Erscheinung und deren Bedeutung für die Kultur als ideeller Lebensgrundlage. Der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft kann auch dadurch verloren gehen, dass die auseinanderdriftenden Milieus sich gegenseitig nicht mehr wahrnehmen. Der immer wieder betonte Beitrag der Kultur zur Integration der Gesellschaft bezieht sich auch darauf. Für den heutigen Umgang mit den sozialkulturellen Folgen der neuen Armut sind im Kontext von bürgerschaftlichem Engagement Reaktionsformen mit möglichst vielen Akteuren von Kirchen, Unternehmen, Gewerkschaften und freien Vereinigungen besonders wichtig, wenn es um die kulturellen Folgen von Armut, insbesondere auch bei Kindern und Jugendlichen geht. Die Auseinandersetzung mit rassistischen, fremdenfeindlichen und gewaltbereiten Subkulturen bedarf ebenso dieser Bündelung der Kräfte unterschiedlichster Akteure." (Sondervotum Schlussbericht der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland 2007, S. 437/438)

Es geht um selbsttätige Gestaltung des sozialkulturellen Lebens durch die Eigeninitiative der Bürger. Dies ist Bestandteil des Aushandelns der "ideellen Lebensgrundlage", und dafür kann die Anerkennung offensiv eingefordert werden (je mehr Initiativen zum Umweltschutz es z. B. gibt, desto wichtiger wird es, ihn in die Staatsaugaben aufzunehmen).

Die "Ressourcenbündelung und Mobilisierung der lokalen Selbstorganisationskräfte" (Münkler S. 26) bedient sich einer Vielfalt auch unkonventioneller Initiativen, die von der Bürgerschaft getragen werden – Runde Tische, Agenda-Gruppen, Stadtteilforen, Selbsthilfeorganisationen, und damit können kooperative und diskursive Verfahren sowie Aktionsräume auch für die "aktive Mitgestaltung der Quartiersentwicklung durch die Bewohnerschaft, Wirtschaft und andere lokale Akteure" geschaffen werden.

"Aktivierungsstrategien werden auch zur Aktivierung von Gemeinschaften – etwa in städtischen Quartieren – angewandt: In den Programmen der Sozialen Stadt sind diese Strategien die Eckpfeiler des Quartiersmanagements, dessen Aufgabe als Moderation selbst tragender Prozesse verstanden wird: Prozesse, die von den Bewohnerinnen und Bewohnern eines Viertels immer stärker selbst zu organisieren sind. Die intendierte Aktivierung sozialer Netzwerke zielt auf den ‚Ersatz’ professioneller Hilfen. Der Sozialraum wird zum neuerlichen Bezugspunkt, Vernetzung zur Methode. Letztlich geht es um die Inszenierung, um die Beförderung posttraditionaler Gemeinschaften, die erneut im Sinn einer Guten Nachbarschaft für sich sorgen." (Münkler ebd.)

Sozialkulturelle Innovationen sind wichtiger als ständig neue Start ups, mit denen Erwerbschancen erschlossen werden – konkret: Chancen für die Fortsetzung eines krisenhaften und selbstzweckhaften Wachstums. Offensiv wird heute "Heimat" als Chance und Gestaltungsraum eingefordert, ebenso das Recht auf Wohnen gegen Spekulationsgeschäfte mit Wohnraum und Grundstücken.

Hat das mit Kulturpolitik und sozialkultureller Infrastrukturpolitik nichts zu tun?

(1) Dieser Text von Dieter Kramer war zunächst ein Aufschlag zur Diskussion über die Neuausrichtung der Kulturpolitik in der Kulturpolitischen Gesellschaft nach der Neuwahl des Vorstands im November 2018 und erscheint hier in leicht veränderter Form, ergänzend zu seinen Antworten auf die Fragen der Ständigen Kulturpolitischen Konferenz (Anmerkung von Annette Mühlberg)

© Dieter Kramer Samstag, 23. Februar 2019, 56348 Dörscheid/Loreleykreis kramer.doerscheid@web.de