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LAG Kulturpolitik Hessen: Kunst muss bleiben – mitten unter uns

Wir sind ganz bei der UNESCO-Erklärung von Mexiko-Stadt im Sommer 1982

1. "Kultur für Alle" und "breiter Kulturbegriff" - ist das "Kunst" oder kann das weg?

Wir sind ganz bei der UNESCO-Erklärung von Mexiko-Stadt im Sommer 1982, in der es heißt: "dass die Kultur in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden kann, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnet. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen;"

Ein breiter Kulturbegriff ist sinnvoll und notwendig. Wenn wir jedoch alles Menschengemachte zu Kultur erklären, läuft der Begriff Gefahr, arbiträr zu werden. Ratio, ein kritisches Urteilsvermögen, Empathie oder moralische Verpflichtungen entwickeln sich zwar aus Kultur, aber Kultur per se garantiert die angeführten Eigenschaften nicht. Kurzum: In gesellschaftlichen Prozessen müssen kritische und mündige Menschenbilder permanent ausgehandelt und erstritten werden. Nur so kann der Mensch zur Reflexion befähigt werden.

Und schließlich zur Frage nach der "Kunst" oder kann das weg: Wenn Kunst als eine Ausdrucksform verstanden wird, in der Erkenntnisse, Erfahrungen und Interpretationen der Welt veräußert werden (vgl. Dieter Kramer Antwort auf Frage 3), dann ist die Frage wohl ziemlich obsolet. Kunst muss bleiben - mitten unter uns.

2. Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik: machen wir das für alle oder machen wir das für "uns"?

Kommt drauf an, wer mit "uns" gemeint ist. Da Anspruch und Leitgedanke linker Kulturpolitik die Parole "Kultur für alle" lautet, schließt unser kulturpolitisches Konzept grundsätzlich alle ein. Menschen mit Behinderung auf und hinter der Bühne, subversive Performancekunst oder inter- und transkulturelle Projekte: Kulturpolitik soll den Facettenreichtum der Gesellschaft sichtbar machen und einen lebendigen Austausch forcieren, um ein nicht aus- oder abgrenzendes kulturelles Selbstverständnis zu fördern.

Zudem existiert eine politisch linke Kultur, die geprägt ist von den Ideen des Humanismus, der Aufklärung und schließlich der demokratischen und sozialistischen Bewegungen und Theorien des 18. und 19. Jahrhunderts bis dato. Die Geschichte linker Bewegungen und linker Politik - ihre sozialen und gesellschaftlichen Errungenschaften, aber eben auch der Terror und die Unmenschlichkeit, die in ihrem Namen begangen wurden - stellen eine historische Verantwortung für die gegenwärtige Linke, als Bewegung und Partei, dar.

3. Muss Kunst irgendwas müssen - ist Kunstfreiheit heute noch real?

Freiheit ist ein philosophisch höchst umstrittenes Konzept, aber keine Sorge, die Büchse der Pandora machen wir an dieser Stelle nicht auf. Die absolute und bedingungslose Kunstfreiheit gibt es nicht. Um nur zwei punktuelle Beispiele zu nennen: Zum einen ist Kunst an normative Diskurse gebunden und zum anderen liegen die Grenzen der Kunstfreiheit dort, wo die Würde und das Persönlichkeitsrecht eines Individuums oder einer Minderheit angegriffen werden. ABER Kunstfreiheit, Satirefreiheit und Meinungsfreiheit sind wichtige Pfeiler der Demokratie. Kollisionen zwischen Kunst- und besonders Satirefreiheit (vor allem letztere muss böse weh tun!) und anderen verfassungsrechtlichen Positionen bleiben nicht erspart. In diesen Fällen muss geprüft werden, welches der Grundrechte im konkreten Fall überwiegt.

4. Braucht Kultur überhaupt öffentliche Förderung?

Öffentliche Kulturförderung ist für eine unabhängige, möglichst freie, nonkonforme, widerständige und auch mal unzugängliche Kunst wichtig. Gleichzeitig möchten wir betonen, dass es durchaus problematisch ist, wenn von staatlicher Seite definiert wird, was Kunst ist oder "Niveaukontrollen" vorgenommen werden (d.h. die Bestimmung von "hoher" und "niederer" Kunst). Allerdings ist ohne die Festsetzung von Kriterien die Förderung von Kunst- und Kulturförderung kaum auszuüben. Daher müssen, im Sinne eines "offenen" Kulturkonzeptes in den Kulturinstitutionen (die oftmals recht hierarchisch strukturiert sind) und an der Basis, Förderkriterien beschlossen werden, die das Kunststück vollbringen sollen, weder affirmativ zu sein noch auszuschließen - it's dialectic, stupid!

5. Muss Kunst sich rechnen und wenn ja für wen?

Wenn mensch von der Prämisse der Kunstautonomie ausgeht, dann darf sich Kunst nicht rechnen lassen. Bekanntlich ist die Autonomie von Kunst eine vertrackte und ambivalente Angelegenheit. Festzuhalten ist, dass das künstlerische Feld durchaus die Institutionalisierung einer Eigenlogik sowie eine relative (!) Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen aufweist. Der "Doppelcharakter der Kunst: der von Autonomie und fait social" (ÄT 340) gekennzeichnet ist, bleibt unauflöslich. Es ist unabdingbar, dass Künstler*innen von etwas leben müssen und daher zwangsweise an gesellschaftlich-kapitalistische Felder rückgekoppelt werden. Auch hat sich der Kunstmarkt seit den 80ern zum Kapitalmarkt entwickelt. Will Kunst zu kritischem und unabhängigem Denken anregen, wollen Künstler*innen ihre Rezipient*innen an sinnliche und kognitive Randerfahrungen führen, ein Projektionsraum für Utopien sein, oder mit radikalen Formen und Aktionen den Einzelnen und die Gesellschaft erschüttern, dann muss Kunst um ihre Autonomie stets ringen und kämpfen. Der Doppelcharakter von Kunst ist nicht falsch zu versöhnen, sondern muss in seiner Dialektik bewahrt, reflektiert und neuausgefochten werden.

6. "Hochkultur" oder "freie Szene" ist das noch die Frage?

Natürlich darf es nicht "oder", sondern muss "und" heißen. Allerdings finden wir die Bezeichnungen "Hochkultur" für Opernhäuser, staatliche Theater und klassische Museen überholt und "für die Katz", denn der Begriff hierarchisiert. Zwischen etablierten Kulturinstitutionen und der alternativen Kulturszene sollen die Grenzen aufweichen und in der Förderung eine bessere Balance bestehen - zumal auch zwischen beiden eine lebendige Reziprozität besteht bzw. bestehen sollte. An dieser Stelle muss jedoch auf die prekäre Situation vieler Akteur*innen in der freien Szene eingegangen werden, deren Planungs- und Finanzierungssicherheit verbessert werden muss. Auch sind Lohngefälle und Arbeitsbedingungen an öffentlichen Einrichtungen dringend zu problematisieren und zu verbessern.

7. Der Kulturföderalismus ist tot - es lebe die Gemeinschaftsaufgabe mit dem Bund?

Totgeglaubte Leben länger! Die Kulturhoheit der Länder ist aus verschieden Gründen sinnvoll. Aufgrund von begrenzten Ressourcen und der verfassungsrechtlichen Kulturförderung begrüßen wir Kooperationen mit dem Bund und halten das Kooperationsverbot für ein anachronistisches Spukgespenst.

Achja - auch möchten wir gerne im Grundgesetz die Verankerung einer kulturellen Staatszielbestimmung "Der Staat schützt und fördert die Kultur", wie es bereits 2004 Vertreter*innen der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" gefordert haben.

8. Einwanderungsgesellschaft - Kultur der Vielen oder viele Kulturen?

Sowohl als auch! Deutsche Städte sind postmigrantisch und verlangen eine postmigrantisch orientierte Kulturpolitik, die Menschen vernetzt und ein Enzym für Neues ist. Statt einem nebeneinander diverser Nationalkulturen, stehen wir für fluide Kulturen für alle.

9. Zugang zur Kunst und Kultur für alle - und das umsonst?

Allen soll der Zugang zu Kunst und Kultur gewährleistet werden. Kinder und Jugendlichen, darunter auch Auszubildende und Studierende, sowie Transferleistungsbezieher*innen sollen freien Eintritt in städtische (gerne auch private!) Kultureinrichtungen erhalten. Nicht nur finanzielle Hürden hindern eine Teilnahme aller an Kunst und Kultur, sondern auch klassenspezifischer Habitus mitsamt seiner "feinen Unterschiede". Um Klassenschranken abzubauen, ist mehr kulturelle Bildung nötig, was nur eine allgemeine Schulreform leisten kann (beginnend mit der Überwindung des 3-gliedrigen Schulsystems,…).

10. Digitalisierung der Kultur, bringt's uns was?

Logo bringt’s uns was! Die Frage ist daher nicht, ob uns Digitalisierung etwas bringt, sondern wie vollzieht sich der Prozess und wie gehen wir mit damit um? Wie können wir die Digitalisierung der Kultur bzw. die Kultur der Digitalität für das Ringen um emanzipative Veränderungen sinnvoll nutzen - etwa durch Wissensfreiheit und globale Vernetzung? Welche Bedeutung kommt sinnlicher Materie und menschlicher Empathie zu, wenn die digitale Welt zunehmend unsere sozialen Beziehungen und das Arbeitsleben gestaltet und künstliche Intelligenz vermehrt als Kulturproduzent in Erscheinung tritt. Die Digitalität hat eine eigene Kultur hervorgebracht, die maßgeblich unser Leben bestimmt. Für die entstehenden Risiken und Chancen müssen kulturpolitische Antworten formuliert werden.

11. Gibt es eine Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?

Ja, unbedingt! Unabhängiger, kritischer und qualitativer Journalismus ist in Zeiten der Informationsflut und der Verbreitung von "Fake-News" in den sozialen Medien unabdingbar für die demokratische Kultur. Über die konkrete Programmgestaltung und die Besetzung des Rundfunkrates lässt sich gewiss streiten.

12. Europäische Union - Wertegemeinschaft oder Binnenmarkt?

Auch hier stimmen wir Dieter Kramer zu: Sinn macht Europa zu allererst nur als Wertegemeinschaft. Ausgehend von Solidarität, Gleichheit und Schwesterlichkeit ist es an der Zeit, einen sozial-ökologischen und solidarischen Wirtschaftsumbau zu forcieren und die neoliberale Wirtschaftsordnung in die Geschichtsbücher zu überführen.